Stina Mentzing im Gespräch mit Jörg Thomaschewski, Professor für Medieninformatik an der Hochschule Emden/Leer

Porträt Prof. Dr. Jörg Thomaschewski

SM: Können Sie Ihre aktuelle wissenschaftliche Tätigkeit in zwei bis drei Sätzen skizzieren?

JT: Meine Forschung ist im Bereich der Informatik angesiedelt und beschäftigt sich mit der Schnittstelle zwischen der agilen Softwareentwicklung und dem Bereich Human Centered Design (Usability und User Experience). Hierbei geht es somit um moderne IT-Prozesse und der Einbeziehung der Nutzer*innen, um IT-Systeme besser nutzbar zu machen, indem die Nutzungsbedürfnisse und nicht die Techniken im Fokus stehen.

SM: Welche Relevanz hat Gender in Ihrem Forschungsbereich?

JT: Im Forschungsbereichen "agile Softwareentwicklung" ist mir bislang kein Ansatz der Einbeziehung von Gender-Aspekten bekannt und im Forschungsbereich "Human Centered Design" kenne ich vereinzelte, gute Ansätze mit Bezug zu Gender Studies (z.B. von den Kolleginnen Susanne Maaß, Corinna Bath, Monique Janneck). In den Studien wird sehr gut gezeigt, was möglich ist bzw. möglich wäre. Eine durchgängige Einbeziehung der Ergebnisse aus den Gender Studies in meinem Forschungsbereich sehe ich jedoch nicht. Dabei schätze ich die Relevanz für Gender- und Diversity-Aspekte in diesen Bereichen als sehr hoch ein, denn die Entwicklung von IT-Systemen betrifft inzwischen alle Lebensbereiche und wird mit Smart Home und autonomen Fahrzeugen noch stark zunehmen und unsere Lebenswirklichkeit stark prägen. Die beiden Forschungsbereiche "konstruieren" also Teile der menschlichen Zukunft, also von moderner Arbeit über soziale Beziehungen (social media) bis zu unseren Infrastrukturen (Smart Home, Smart City) ohne, dass das Thema Gender ausreichend berücksichtigt wird.

SM: Seit wann sind Sie bei der LAGEN aktiv und über welche Mitgliedseinrichtung nehmen Sie an der LAGEN teil?

JT: Seit dem Beitritt der Hochschule Emden/Leer in 2018.

SM: Was ist Ihre Funktion in dieser Einrichtung?

JT: Ich habe eine Professur für Medieninformatik an der Hochschule Emden/Leer

SM: Welche Tätigkeiten beinhaltet Ihre Mitarbeit an der LAGEN?

JT: Bislang habe ich bei der LAGEN noch nicht aktiv mitgewirkt und mir ist auch noch nicht deutlich, inwieweit sich die LAGEN als Zusammenschluss der (reinen) Genderforschung versteht, zu der ich keinen Beitrag leisten kann oder ob es möglich ist als Nicht-Gender-Forscher sinnvolle Beiträge einzubringen. Ich bin sehr interessiert daran, Ergebnisse der Gender- und Diversity-Forschung in meiner Forschung und in meiner Lehre zu berücksichtigen, sofern diese auf meinen Lehrbereich anwendbar sind. Hier ist als positives Beispiel die Kooperation zwischen Gender Studies und Lehre zu nennen, wie beispielsweise in der "Handreichung zur Integration von Gender- und Diversity-Aspekten in die ingenieurwissenschaftliche Lehre" von Claude Draude beschrieben.

SM: Ihre letzte Publikation in einem Satz?

JT: Zusammen mit dem Kollegen Martin Schrepp von SAP ist uns eine umfangreiche Überarbeitung eines Standard-Fragebogens zur Ermittlung der User Experience verschiedener Produktkategorien gelungen. Wir haben den sehr etablierten User Experience Questionnaire von 6 Produktfaktoren nach mehrjähriger Vorarbeit auf 14 Produktfaktoren erweitern können. Die zugehörige Publikation ist im Juli 2019 erschienen.

SM: Welchen Bezug hat Ihre Publikation zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zu den Gender Studies? 

JT: Keinen, leider! Wenn ich Ansätze sehen würde, wie ich Gender Studies berücksichtigen könnte, dann würde ich dies je nach Aufwand gerne tun. Aber mein Wissen um Gender Studies ist zu gering, um eigene Ansätze einzubringen, die über ein Basiswissen hinaus gehen und damit publikationswürdig wären. Claude Draude hat gezeigt, welcher Aufwand notwendig ist, um Gender- und Diversity-Aspekte zu integrieren. Auch wenn es dabei um die Lehre ging, so ist der Aufwand im Bereich Forschung sicherlich nicht geringer. Aber um nicht ungenau zu sein: ich habe zwei Publikationen mit einen Bezug zum Thema Gender und IT.

SM: Wem würden Sie Ihre Publikation empfehlen?

JT: Product Ownern und allen weiteren Produktverantwortlichen, die IT-System konzipieren und durch Anwender*innen evaluieren möchten.

SM: Ihr Projekt in einem Satz?

JT: Ein bedeutendes aktuelles Projekt lautet: Wie kann man Aspekte zur Verbesserung der User Experience bei der Produktplanung (also im Product Backlog) bereits vorhersagen und diese Vorhersagen später mit realen Nutzer*innen-Bewertungen vergleichbar machen.

SM: Was macht Ihr Forschungsprojekt besonders?

JT: Wir arbeiten an einer Verbesserung der Prozesse zur Erstellung von IT-Systemen, sodass der Programmieraufwand verringert und gleichzeitig die Produkte in Bezug auf die Nutzbarkeit verbessert werden. Also Entwicklungsaufwand sparen und Nutzungsqualitäten erhöhen.

SM: Mit wem würden Sie gern Ihr aktuelles Forschungsprojekt diskutieren? Und warum?

JT: Selbstverständlich präsentieren wir auf wissenschaftlichen Tagungen unsere Forschungsergebnisse und sind im regen Austausch innerhalb der wissenschaftlichen Community. Darüber hinaus ist es natürlich möglich meine Forschungsergebnisse vielfältig zu diskutieren, mit allen, die an der Forschung interessiert sind.

SM: Sie sitzen mit Freunden am Küchentisch und das Thema Gender wird angesprochen. Wie erklären Sie Ihren Bezug zum Thema und was es mit Ihrem Beruf zu tun hat?

JT: Mein Bezug zum Thema ist, dass ich daran interessiert bin und vermute, dass unter Einbeziehung der Gender Studies die Welt etwas besser werden könnte. Im Beruf versuche ich in meinen Veranstaltungen an der Hochschule alle Teilnehmenden einzubeziehen.

SM: Was lesen Sie, wenn sie keine wissenschaftlichen Texte lesen?

JT: Zwei Bücher, die ich in letzter Zeit gerne gelesen habe sind folgende: "Silicon Germany: Wie wir die digitale Transformation schaffen" von Christoph Keese beschreibt sehr gut, wie sich die moderne amerikanische IT-Wirtschaft von der deutschen Wirtschaft unterscheidet und welche Wege vor uns liegen. "Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft" von Richard David Precht beschreibt sehr gut, dass nicht nur die fachlichen, wirtschaftlichen Dinge Berücksichtigung finden sollten.

SM: Welche Autor_innen lesen Sie gerne? Und wieso?

JT: Hans Magnus Enzensberger, Richard David Precht, Sten Nadolny und Carlos Ruiz Zafón. Die Autoren regen mich entweder zum Nachdenken an oder deren Romane dienen der Entspannung.

SM: Welche Bücher würden Sie auf jeden Fall weiterempfehlen?

JT: "Silicon Germany: Wie wir die digitale Transformation schaffen" und "Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft", denn dass was auf uns zukommt ist teilweise schon absehbar.

SM: Für was hätten Sie gerne mehr Zeit?

JT: Für mich, meine Familie, meinen Hund und um wieder Kutsche zu fahren.

SM: Was würden Sie an einem Tag unternehmen, an dem die gesamte technische Infrastruktur und alle technischen Geräte nicht funktionieren würden?

JT: Ein Buch nehmen und lesen. Anschließend mit meinem Hund und der Familie etwas unternehmen. Aber vermutlich würde ich mich um Feuer und Frischwasser kümmern, denn ohne unsere technische Infrastruktur geht ja nichts mehr, nicht mal mehr der Wasserhahn...

SM: Wen würden Sie gerne einmal treffen? Warum?

JT: Ein Abendessen mit Don Norman und Ben Shneiderman wäre gut. Es sind die Vordenker im Bereich Usability und User Experience, also die "Größen" meines Fachgebietes.

SM: Wohin würden Sie gerne verreisen? Warum dorthin?

JT: Es gibt so viele interessante Orte, da wäre es jetzt nicht gut eine kleine Auswahl anzugeben. Sehr viele Orte sind schön, wenn man die Augen öffnet und die Gegend genießt.

SM: An welchen Vorbildern - seien es Menschen oder Projekte -, orientieren Sie sich?

JT: Hier fallen mir so viele Menschen ein, die meinen bisherigen Weg begleitet haben und die mir wissentlich oder unwissentlich immer ein Stück Orientierung gegeben haben und an denen ich mit orientieren kann.

SM: Ich habe Freude an meinem Beruf, weil ...

JT: ... ich kreativ gestalten kann und Menschen (Studierende) sich entwickeln sehe.

SM: Die LAGEN ist wichtig, weil ...

JT: ... sie die Chance geben könnte, dass ich zukünftig Ergebnisse aus Gender Studies anwenden und ausprobieren kann.

SM: Ich wünsche der LAGEN, dass ...

JT: ...sie die Zukunft mitgestalten kann.

SM: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben!