Stina Mentzing im Gespräch mit Joana Grow, Juniorprofessorin für Musikpädagogik mit Schwerpunkt Genderforschung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover
SM: Können Sie Ihre aktuelle wissenschaftliche Tätigkeit in zwei bis drei Sätzen skizzieren?
JG: Seit Oktober dieses Jahres bin ich Juniorprofessorin für Musikpädagogik mit Schwerpunkt Genderforschung an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Ich forsche im Bereich der empirischen Unterrichtsforschung u.a. zu doing gender-Prozessen von Schüler*innen und Lehrer*innen im Musikunterricht. Auch in der Lehre biete ich Veranstaltungen zu Musikpädagogik und Gender an.
SM: Welche Relevanz hat Gender in Ihrem Fachbereich?
JG:Die Relevanz in einem Fachbereich, der zukünftige Lehrer*innen ausbildet, könnte nicht größer sein. Unsere Bildungsinstitutionen sind ein wichtiger Ort für ein Einüben gendersensiblen Umgangs miteinander, für die Aufarbeitung von Genderstereotypen.
SM: Seit wann sind Sie bei der LAGEN aktiv und über welche Mitgliedseinrichtung nehmen Sie an der LAGEN teil?
JG: Als Maria-Goeppert-Mayer-Professorin bin ich mit Stellenantritt über das FMG der Hochschule Mitglied der LAGEN. Zuvor war ich bereits in den Arbeitsgruppen zu Gender in der Lehre und Gender und Digitalisierung aktiv.
SM: Welche Tätigkeiten beinhaltet Ihre Mitarbeit an der LAGEN?
JG: Ich hoffe die Arbeit zu Gender in den Fachdidaktiken stärken zu können. Spezielle Tätigkeiten werden sich sicherlich in den nächsten Jahren finden.
SM: Ihre letzte Publikation in einem Satz?
JG: Aktuell sitze ich an einem Aufsatz zum doing gender von Fünft- und Sechsklässler*innen in Ausschnitten von Kompositionsprozessen.
SM: Welchen Bezug hat Ihr Aufsatz zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung/Gender Studies?
JG: Ich nehme Bezug auf den aktuellen Diskurs in den Gender Studies. Weiter zeige ich, dass fachliches Lernen und doing gender Prozessen miteinander verwoben sind, sogar von ihnen unterlaufen werden. Die Bedeutung von Genderforschung in den Fachdidaktiken wird deutlich.
SM: Wem würden Sie Ihren Aufsatz empfehlen?
JG: Allen die sich für Gender und Diversität in musikpädagogischer Forschung interessieren. Der Wunsch ist natürlich auch da, dass er auch von anderen Fachdidaktikern gelesen wird und dazu anregt Gender immer häufiger als Querschnitts"frage" mitzudenken.
SM: Ihr Projekt in einem Satz?
JG: In einem aktuellen Projekt analysiere ich Einstellungen und Vorstellungen von Musikstudierenden/ -lehrenden zu gendersensiblem Musikunterricht und wie diese sich im Musikunterricht manifestieren.
SM: Welchen Bezug hat Ihr Forschungsprojekt zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung/Gender Studies?
JG: Diesen Bezug möchte ich mit einem Beispiel aus dem Projekt verdeutlichen: Bei vielen befragten Studierenden und Lehrkräften zeigen sich Unsicherheiten wie sie Geschlechtergerechtigkeit herstellen können, ob sie beispielsweise Differenzen vermeiden oder anerkennen sollen. Ich kann und möchte also nicht daran vorbeikommen verschiede Diskurslinien der Geschlechtserforschung auch in der fachdidaktischen Forschung aufzugreifen.
SM: Was macht Ihr Forschungsprojekt besonders?
JG: Mir ist immer besonders wichtig nah an der Praxis zu sein und Erkenntnisse zu gewinnen, die für die Praxis wiederum handlungsleitend werden können.
SM: Mit wem würden Sie gern Ihr aktuelles Forschungsprojekt diskutieren? Und warum?
JG: Ganz konkret plane ich gerade den Kontakt zu Wissenschaftler*innen aus Fachdidaktiken anderer ästhetischer Fächer, um voneinander zu lernen und Synergieeffekte nutzen zu können.
SM: Sie sitzen mit Freunden am Küchentisch und das Thema Gender wird angesprochen. Wie erklären Sie Ihren Bezug zum Thema und was es mit Ihrem Beruf zu tun hat?
JG: Ich war lange in der Schule und habe auch viele Lehrer*innen unter meinen Freund*innen. Der Bezug zur schulischen Praxis findet sich somit schnell.
SM: Was lesen Sie, wenn sie keine wissenschaftlichen Texte lesen?
JG: Im Alltag verbleibt da tatsächlich wenig Zeit. Zur Zeit lese ich Freiheit von Jonathan Franzen. Meist lese ich eher Kinderbücher vor.
SM: Welche Autor_innen lesen Sie gerne? Und wieso?
JG: Bei den Kinderbüchern lese ich gerade gerne Andreas Steinhöfel und Cornelia Funke vor. Selbst habe ich keine "Lieblingsautor*innen". Da wechsle ich nach Anlass, Laune und Zeit beispielsweise von Haken Nesser über Toni Morrison zu Sven Regener.
SM: Welche Bücher würden Sie auf jeden Fall weiterempfehlen?
JG: Das kommt ja sehr darauf an wem ich es empfehle... Wahrscheinlich solche Bücher, die mich längerfristig zum Nachdenken anregen oder die, in die ich so eintauchen konnte und die Welt um mich herum vergessen habe.
SM: Für was hätten Sie gerne mehr Zeit?
JG: Für ausgiebige Spaziergänge im Wald oder noch lieber am Strand. Manchmal auch für das Musikmachen.
SM: Was würden Sie an einem Tag unternehmen, an dem die gesamte technische Infrastruktur und alle technischen Geräte nicht funktionieren würden?
JG: Dann wohl den Spaziergang, viel lesen und Freund*innen treffen.
SM: Wen würden Sie gerne einmal treffen? Warum?
JG: Samantha Cristoforetti. Wie sie von einem Blick auf die Erde berichtet, macht demütig.
SM: Wohin würden Sie gerne verreisen? Warum dorthin?
JG: Ich möchte sehr gerne nochmal nach Island, die raue schöne Natur dort fasziniert mich. Aber fürs erste hoffe ich, nächstes Jahr die Weite der dänischen Nordsee oder die Ruhe an einem See in Nordschweden genießen zu dürfen.
SM: An welchen Vorbildern - seien es Menschen oder Projekte -, orientieren Sie sich?
JG: In der Musikpädagogik sind es die Projekte, die es schaffen zu verdeutlichen, dass Musik für alle Schüler*innen ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist - also Projekte, die eine gesellschaftliche Dimension haben und nicht mit sich selbst beschäftigt bleiben. Menschlich hatte ich das Glück immer wieder auf Kolleg*innen zu treffen, die für ihre Meinung und Werte offen und notfalls auch laut eintreten und tun, was sie für wichtig erachten.
SM: Ich habe Freude an meinem Beruf, weil ...
JG: ... Forschung gerade zu Themen, die mir als Lehrerin ständig begegnet sind, so spannend ist. Ich schätze den Austausch um eine gemeinsame Sache mit Kolleg*innen und Studierenden sehr.
SM: Die LAGEN ist wichtig, weil ...
JG: ... sie für die Wissenschaftler*innen Genderforschung koordiniert, interdisziplinäre Zusammenarbeit erleichtert und dabei wichtige Impulse setzen kann. Nicht zu unterschätzen ist aber auch die politische und die Öffentlichkeitsarbeit, die geleistet wird.
SM: Ich wünsche der LAGEN, dass ...
JG: ... sie sich bei guten politischen Rahmenbedingungen mit vielen engagierten Köpfen der inhaltlichen Arbeit widmen darf.
SM: Wollen Sie noch ein Schlusswort sprechen?
JG: Vielen Dank für Ihre Fragen. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
SM: Vielen Dank für die schönen Antworten und dass Sie sich Zeit genommen haben!