Stina Mentzing im Gespräch mit Kai-Olaf Maiwald, Professor für Mikrosoziologie und qualitative Methoden an der Universität Osnabrück

SM: Können Sie Ihre aktuelle wissenschaftliche Tätigkeit in zwei bis drei Sätzen skizzieren?

KM: Im Augenblick beschäftige ich mich vor allem mit Fragen der Sozialisation und Erziehung, und hier auch besonders mit der Bedeutung der Kategorie "Geschlecht". Das betrifft dabei sowohl die Seite der Geschlechterdifferenzierungen im elterlichen Handeln (Welche Unterschiede machen Eltern im Umgang mit ihren Kindern, insbesondere vor dem Hintergrund der weitgehenden Geltung der Gleichheitsnorm?) wie auch die Seite des "Ergebnisses" dieser Differenzierungen (Wie kann man sich "Geschlechtsidentität" vorstellen?).

SM: Welche Relevanz hat Gender in Ihrem Fachbereich?

KM: Auch wenn es an unserem Fachbereich keine Professur mit der Denomination Geschlechterforschung gibt, gibt es doch regelmäßig Lehrveranstaltungen zu unterschiedlichen Themenbereichen der Geschlechterforschung und auch Forschungen dazu, insbesondere am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien und bei mir.

SM: Seit wann sind Sie bei der LAGEN aktiv und über welche Mitgliedseinrichtung nehmen Sie an der LAGEN teil?

KM: Seit einigen Jahren, seit meiner Mitgliedschaft in der Forschungsstelle Geschlechterforschung an der Universität Osnabrück.

SM: Was ist Ihre Funktion in dieser Einrichtung?

KM: Ich bin Professor für Mikrosoziologie und qualitative Methoden im Institut für Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück

SM: Welche Tätigkeiten beinhaltet Ihre Mitarbeit an der LAGEN?

KM: Bis auf eine vereinzelte Beteiligung an Tagungen muss ich gestehen, dass meine Mitarbeit eher "rezeptiv" ist, d.h. ich verfolge im Wesentlichen die Aktivitäten.

SM: Ihre letzte Publikation in einem Satz?

KM: Die letzte Buchpublikation ist "Microsociology. A Tool Kit for Interaction Analysis" (Routledge 2020), das ich zusammen mit Inken Sürig geschrieben habe und in dem es um all das geht, was Interaktionen Struktur verleiht (Institutionen, Perspektivenübernahme, Typisierungen, Rollen usw.).

SM: Welchen Bezug hat Ihre Publikation zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung?

KM: Als ein Buch, dass sich mit soziologischen Grundbegriffen befasst, hat es keinen direkten Bezug zur Geschlechterforschung, allerdings werden in den Kapiteln durchgängig auch Beispiele verwendet, in denen es um Aspekte von "Geschlecht" geht.

SM: Wem würden Sie Ihr Publikation empfehlen?

KM: Studierenden der Sozialwissenschaften und allen, die Geschlechterforschung, insbesondere mit qualitativen Methoden, betreiben (wollen).

SM: Ihr Projekt in einem Satz?

KM: Das aktuell laufende Drittmittelprojekt, in dem es um Bewertungspraktiken in der Promotionsbetreuung geht, hat tatsächlich keinen Bezug zur Geschlechterforschung. In dem kürzlich abgeschlossenen Projekt hingegen ging es um die Bedeutung der Kategorie "Geschlecht" in Eltern-Kind-Beziehungen, konkret darum, wie egalitärorientierte Eltern mit möglichen geschlechtstypischen Verhaltensweisen ihrer Kinder umgehen.

SM: Welchen Bezug hat Ihr Forschungsprojekt zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung?

KM: Das Projekt versuchte einen Beitrag zur zentralen Frage zu leisten, warum "traditionelle" Geschlechterunterscheidungen eine solche Beharrungskraft aufweisen.

KM: Was macht Ihr Forschungsprojekt besonders?

SM: Der methodische Zugang, aber insbesondere die theoretische Perspektive auf "normative Paradoxien": Tatsächlich ist ein Ergebnis des Projekts, dass gerade der Erfolg des Feminismus, d.h. die weitgehende Etablierung der Gleichheitsnorm, dazu beiträgt, dass sich eine neue Selbstverständlichkeit von Geschlechterunterschieden etabliert.

SM: Mit wem würden Sie gern Ihr aktuelles Forschungsprojekt diskutieren? Und warum?

KM: Ich würde gerne einmal Projektergebnisse mit Angelika Wetterer diskutieren, da ihre Überlegungen in eine ganz ähnliche Richtung gehen.

SM: Sie sitzen mit Freunden am Küchentisch und das Thema Gender wird angesprochen. Wie erklären Sie Ihren Bezug zum Thema und was es mit Ihrem Beruf zu tun hat?

KM: Der Ort des Gesprächs bietet dazu einen guten Anknüpfungspunkt: Ich würde über die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern im Haushalt sprechen, aber auch über eine symbolische Ordnung, die Männern und Frauen unterschiedliche Gerichte, Zubereitungsarten und Ernährungsgewohnheiten zuweist.

SM: Was lesen Sie, wenn sie keine wissenschaftlichen Texte lesen?

KM: Abgesehen von der Tageszeitung vor allem Romane (aber leider zu wenig).

SM: Welche Autor_innen lesen Sie gerne? Und wieso?

KM: Ich lese gerne Bücher, in denen man auf literarische Weise etwas über das Leben (in einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Bedingungen) erfährt. Ich bin ein Fan von Richard Ford, und ich schaue regelmäßig nach, ob Judith Zander nicht noch ein zweites Buch (nach "Dinge, die wir heute sagten") geschrieben hat, aber leider...

SM: Welche Bücher würden Sie auf jeden Fall weiterempfehlen?

KM: Colson Whiteheads "Underground Railroad".

SM: Für was hätten Sie gerne mehr Zeit?

KM: Für Muße.

SM: Was würden Sie an einem Tag unternehmen, an dem die gesamte technische Infrastruktur und alle technischen Geräte nicht funktionieren würden?

KM: Ich fürchte, ich würde Hausarbeiten lesen.

SM: Wen würden Sie gerne einmal treffen? Warum?

KM: Es fällt mir niemand ein, den ich dringend treffen wollte.

SM: Wohin würden Sie gerne verreisen? Warum dorthin?

KM: Wieder in die Bretagne. Das Meer, die Küste, das Land, das Essen, die Leute (ich spreche allerdings viel zu schlecht Französisch)...

SM: An welchen Vorbildern - seien es Menschen oder Projekte -, orientieren Sie sich?

KM: Das sind sehr viele.

SM: Ich habe Freude an meinem Beruf, weil ...

KM: ... er immer noch die Möglichkeit bietet, meinem Beruf nachzugehen (Soziologie zu betreiben).

SM: Die LAGEN ist wichtig, weil ...

KM: ... es eine Plattform für den fachlichen Austausch und auch eine politische Vertretung der Geschlechterforschung in Niedersachsen braucht.

SM: Ich wünsche der LAGEN, dass ...

KM: ... die Landesregierung endlich erkennt, dass eine übergreifende institutionelle Verankerung der Geschlechterforschung an den Universitäten Niedersachsens erforderlich ist (was zudem kaum Geld kosten würde).

SM: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben!