Stina Mentzing im Gespräch mit Barbara Zibell, Professorin für Architektursoziologie und Frauenforschung, Leiterin der Abteilung Planungs- und Architektursoziologie am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur an der Fakultät für Architektur und Landschaft, Leibniz Universität Hannover

Porträt Prof. Dr. sc. techn. Barbara Zibell

SM: Können Sie Ihre aktuelle wissenschaftliche Tätigkeit in zwei bis drei Sätzen skizzieren?

BZ: Als Professorin für Planungs- und Architektursoziologie (und Frauenforschung) fühle ich mich den gesellschaftlichen Reflexionen räumlicher Gestaltung und Entwicklung verpflichtet, sowohl im Hinblick auf das Verstehen und Begreifen von Kontexten als auch auf das Entwerfen von Visionen und Möglichkeitsräumen für eine andere Welt. Geschlechterverhältnisse und deren Veränderung spielen in diesen Überlegungen zur Transformation von Raum und Gesellschaft eine zentrale Rolle.

SM: Welche Relevanz hat Gender in Ihrem Fachbereich?

BZ: Der Fachbereich (Architektur), in dem ich vor über 20 Jahren meine Professur angetreten habe, war von frauenbewegten Aktivitäten (ausgehend von Studentinnen und Mitarbeiterinnen, unterstützt von den ersten Professorinnen) erfasst und erkämpfte erfolgreich eine W3-Professur für Architektursoziologie und Frauenforschung, die ich bis heute innehabe. Der Fachbereich bot später auch den Sitz der Geschäftsstelle des Niedersächsischen Forschungsverbundes für Frauen- und Geschlechterforschung in Naturwissenschaft, Technik und Medizin (NFFG).

An der Fakultät für Architektur und Landschaft, die vor über 10 Jahren gegründet wurde, war die Einrichtung der Forschungsplattform "Forum für GenderKompetenz in Architektur Landschaft Planung (gender_archland)" und die erfolgreiche Ansiedlung einer MGM-Gastprofessur sowie der MGM-Juniorprofessur "Raum und Gender" von besonderer Bedeutung. All diese Aktivitäten wurden und werden von der Fakultät geduldet und sofern Mittel eingeworben werden, auch unterstützt, inwiefern diese angesichts absehbarer personeller Veränderungen jedoch weitergeführt werden können, ist offen.

SM: Seit wann sind Sie bei der LAGEN aktiv und über welche Mitgliedseinrichtung nehmen Sie an der LAGEN teil?

BZ: Mit dem gender_archland sind wir Gründungsmitglied der LAGEN und aktiv vor allem über unsere Juniorprofessorin für Raum und Gender.

SM: Was ist Ihre Funktion in dieser Einrichtung?

BZ: Ich bin Gründerin und aktuell immer noch Vorsitzende des gender_archland.

SM: Welche Tätigkeiten beinhaltet Ihre Mitarbeit an der LAGEN?

BZ: Meine Tätigkeiten beschränken sich (leider) auf die Teilnahme an (Krisen-)Sitzungen und einzelnen Workshops, die Kooperation im Hinblick auf die Sondierung möglicher gemeinsamer Forschungsfelder im Rahmen eines ForschungsForums (ForFo) zur Biografieforschung war ein besonderes Highlight.

SM: Ihre letzte Publikation in einem Satz?

BZ: Meine letzte Publikation "Frauennetzwerke in Architektur & Planung. Erfahrungen Orientierungen" (Release Sept. 2018) ist das Produkt eines sechsjährigen Prozesses und der länderübergreifenden Ko-Produktion zwischen dem gender_archland und demschweizerischen Netzwerk Frau und SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein).

SM: Welchen Bezug hat Ihr Buch zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung/Gender Studies?

BZ: Es ist eher ein Buch, das dem schwierigen Transfer im Handlungs- und Gestaltungsfeld von Architektur und Planung zwischen Wissenschaft und Praxis gewidmet ist, also der empirischen Forschung zuzurechnen, indem es sich im Kern mit der Geschichte eines ehemaligen Frauennetzwerks in der Schweiz beschäftigt, das sich nach 18 Jahren selbst aufgelöst hat. Es greift - über den gesamten deutschsprachigen Raum - aber auch zeitgenössische Perspektiven von aktiven Fachfrauen und Netzwerkerinnen auf und wirft Schlaglichter in eine mögliche Zukunft, angesichts des New Wave Feminism 4.0.

SM: Wem würden Sie Ihr Buch empfehlen?

BZ: Frauen und Männern, die ein Netzwerk gründen möchten, in Netzwerken aktiv sind oder sich mit den Schwierigkeiten und Erfolgskriterien von Netzwerken auseinandersetzen möchten, auch forschend und insofern weiterführend.

SM: Ihr Projekt in einem Satz?

BZ: Aktuell beschäftigt mich der Abschluss eines mehrjährigen Projektes zum Thema "Gender in Spatial Development" bzw. die Dokumentation der Ergebnisse eines mehrjährigen Austausches von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen verschiedener räumlich orientierter Disziplinen in Europa im renommierten Verlagshaus Routledge.

SM: Welchen Bezug hat Ihr Forschungsprojekt zur aktuellen feministischen Forschung bzw. zur Geschlechterforschung/Gender Studies?

BZ: Das Vorhaben beschäftigte sich mit der Frage, wie die Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht die Entwicklung und Planung von Räumen in unterschiedlichen europäischen Ländern und Regionen beeinflusst. Die Basis bilden theoretische Reflexionen zu Gender, Space und Development (incl. Planning und Sustainable Development). Die gemeinsame Herausforderung des EU-weit eingeführten Gender Mainstreaming Prinzips wird im Hinblick auf seine Wirksamkeit in der Raumentwicklung mit seinen Widersprüchlichkeiten und Missverständnissen reflektiert. Den Kern bilden Beiträge von international und transdisziplinär gemischten Autor*innenteams, die den Einfluss von Genderperspektiven auf aktuelle Planungsaufgaben und jüngst verwirklichte Projekte, supranationale Planwerke (New Urban Agenda) und gesellschaftliche Herausforderungen (Klimawandel, Migration, Austerity) analysieren und bewerten.

SM: Was macht Ihr Forschungsprojekt besonders?

BZ: Die internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit und das Zusammenführen angesichts dieser Herausforderung zu einem erfolgreichen Abschluss. Das Buch wird nicht einfach ein Sammelband sein mit unterschiedlichen Kapiteln unterschiedlicher Autor*innen, sondern erkennbar als Ergebnis eines gemeinsamen Prozesses, des Ringens um Positionen und Visionen, das als roter Faden durch das ganze Buch hindurch spürbar werden dürfte.

SM: Mit wem würden Sie gern Ihr aktuelles Forschungsprojekt diskutieren? Und warum?

BZ: Mit Männern und Frauen aus Planungstheorie und Planungspraxis, die (noch) nicht verstehen, wozu es die Genderperspektive in der räumlichen Planung und Entwicklung braucht.

SM: Sie sitzen mit Freund_innen am Küchentisch und das Thema Gender wird angesprochen. Wie erklären Sie Ihren Bezug zum Thema und was es mit Ihrem Beruf zu tun hat?

BZ: Ich versuche zu erklären, dass Gender mindestens sowohl Differenz- als auch Strukturkategorie ist und zudem eine innovative Perspektive und transformierende Kraft darstellt. Was es mit meinem Beruf zu tun hat, liegt auf der Hand - in Architektur und Planung geht es immer (auch) um die Erfindung neuer Welten.

SM: Was lesen Sie, wenn sie keine wissenschaftlichen Texte lesen?

BZ: Historische und zeitgenössische Romane, die in andere Lebensräume und -welten einführen, aber auch Sachbücher zu psychologischen, philosophischen oder politisch-gesellschaftlichen Themen.

SM: Welche Autor_innen lesen Sie gerne? Und wieso? 

BZ: Mir fallen spontan ein: Juli Zeh, Cora Stephan, Ulrike Schweikert, Irina Korschunow, aber auch Christa Wolf, Simone de Beauvoir, Mascha Kaleko, Hannah Arendt, Margarete Mitscherlich, dann Hanns-Josef Ortheil, Sandor Marai, Robert M. Pirsig, Umberto Eco, Paulo Coelho, Elias Canetti, Antoine de Saint-Exupéry, Martin Suter, Henning Mankell - alles Autorinnen und Autoren, deren Bücher ich verschlungen habe. Warum? Weil es ihnen gelingt, individuelle psychische und körperliche Befindlichkeiten, Lebensformen, -verläufe und -entscheidungen in einen zeitgeschichtlichen / gesellschaftlichen Kontext zu stellen und verständlich zu machen.

SM: Welche Bücher würden Sie auf jeden Fall weiterempfehlen?

BZ: "Unterleuten" von Juli Zeh, "Ab heute heisse ich Margo" von Cora Stephan, "Die Erfindung des Lebens" von Hanns-Josef Ortheil oder "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" von Robert M. Pirsig - aber unbedingt auch von Ken Wilber "Das Wahre, Schöne, Gute".

SM: Für was hätten Sie gerne mehr Zeit?

BZ: Zum Lesen und Schreiben, für Musik (Klavier spielen, Chor - Singen, Dirigieren ...)

SM: Was würden Sie an einem Tag unternehmen, an dem die gesamte technische Infrastruktur und alle technischen Geräte nicht funktionieren würden?

BZ: Spazieren gehen (wenn die Sonne scheint), in bewegter Landschaft mit nicht allzu vielen Spuren der Zivilisation, aber genügend, um auch irgendwann in der Sonne zu sitzen und einen Café zu trinken, bei Regen: in einem Kaffeehaus Zeitungen "am Stiel" lesen, die Seele baumeln lassen, alte Freunde und Freundinnen treffen ...

SM: Wen würden Sie gerne einmal treffen? Warum?

BZ: Eine ganz bestimmte Seelenschwester, die ich leider verloren habe, oder auch Thich Nhat Than, um Seele und Geist zu nähren, oder Menschen wie Annalena Baerbock, Hoffnungsträger*innen der jungen Generation ...

SM: Wohin würden Sie gerne verreisen? Warum dorthin?

BZ: Am liebsten nach Israel, (nochmal nach) Tel Aviv, aber auch Jerusalem und Haifa, Bethlehem und Gethsemane, um die Wiege unserer Kultur zu verstehen, aber auch die vorhandenen Konfliktlinien zu erspüren und den Umgang der Menschen damit, ihre Lebensweisen.

SM: An welchen Vorbildern - seien es Menschen oder Projekte - orientieren Sie sich?

BZ: An allen, denen es gelingt, sich als Einheit von Körper, Seele und Geist zu erfahren und erfahrbar zu machen, an allen, die nicht von vornherein werten, sondern zuerst vorurteilsfrei anschauen, zuhören, um zu verstehen. Adelheid Biesecker ist zum Beispiel so eine Frau, die ich grossartig finde, aber auch Kerstin Dörhöfer, Menschen jedenfalls, die ich persönlich kenne, nicht solche, die mir nur aus Medien bekannt sind, weil das für mich zu abstrakt wäre. Vorbilder sind für mich mit persönlicher Erfahrung verknüpft.

SM: Ich habe Freude an meinem Beruf, weil ...

BZ: ... er mir Freiräume bietet und die Möglichkeit, meine Zeit (relativ) frei einzuteilen.

SM: Die LAGEN ist wichtig, weil ...

BZ: ... sie ein einzigartiges Netzwerk bietet und dem Überleben der Genderperspektive eine Chance.

SM: Ich wünsche der LAGEN, dass ...

BZ: ... sie diese Generation überlebt und der Genderforschung zu mehr und v.a. nachhaltiger Anerkennung und Gewicht verhelfen kann.

SM: Wollen Sie noch einen abschließenden Satz sagen?

BZ: Sie haben viele, sehr persönliche Fragen gestellt und ich habe diese Fragen auch sehr persönlich beantwortet - die Antworten (insbesondere die personenbezogenen) sind situationsbedingt und könnten an einem anderen Tag auch anders ausfallen, je nachdem, womit ich mich gerade beschäftige ...

SM: Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben!