Die Statistiken der Technischen Universität Wien, die die diesjährige 8th European Conference on Gender Equality in Higher Education ausgerichtet hat, sind in vielerlei Hinsicht paradigmatisch für die Inhalte, die von den insgesamt über 300 Teilnehmenden über mehrere Tage hinweg diskutiert wurden.
Der Frauenanteil an Professuren liegt an der TU Wien derzeit bei 10,2 Prozent und bildet damit fast das Schlusslicht der öffentlichen Universitäten in Österreich. Zum Vergleich – die Universität Wien hatte im Jahr 2012 einen Frauenanteil von 26,5 Prozent (Quelle: Wissenschaft in Österreich, hrsg. vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, 2014, S. 20).
Das typische Muster, die so genannte "Leaky Pipeline" demnach Frauen während des Studiums häufig noch in weit höheren Zahlen vertreten sind, aber zahlenmäßig abnehmen je höher die Qualifizierungsstufe auf dem Weg zur Professur ist, war demzufolge auch auf dieser Tagung ein zentrales Thema, insbesondere auch hinsichtlich der besonderen Herausforderungen, die sich innerhalb dieser Konstellation noch einmal für die STEM-Fächer stellen. Bereits zu Beginn der Tagung klang an, dass – außer der Einführung von Quotenregelungen – bisher kaum Maßnahmen wirklich überzeugend gewirkt haben, um Fortschritte auf dem Weg zur Geschlechtergerechtigkeit zu machen. Insbesondere in Österreich zeigt die Quote bereits erste Wirkung. Seit der Novelle des Universitätsgesetzes müssen in allen Universitätsgremien und Organen, wie etwa dem Rektorat, zumindest 40 Prozent Frauen vertreten sein. Das wird unweigerlich dazu führen, dass in Zukunft Frauen an den Universitäten vermehrt mitentscheiden.
Die Wiener Tagung setzte die Reihe an Konferenzen zu Geschlechtergerechtigkeit im Hochschul- und Wissenschaftssystem fort, die bereits 1998 in Helsinki ihren Ursprung hatte und regelmäßig ein heterogenes Publikum zusammenbringt. Es kommen Wissenschaftler_innen, Wissenschaftsmanager_innen, Gleichstellungs- und Diversity-Beauftragte, Mitglieder von Hochschulverwaltungen, Ministerien, Forschungsinstituten bzw. generell Personen zusammen, die sich für geschlechterpolitische Fragen im Kontext von Hochschulpolitik interessieren oder Hochschulforschung betreiben. Im Mittelpunkt steht der Austausch über bestehende Strukturen an den jeweiligen spezifischen Standorten sowie das Identifizieren von best practice-Beispielen.
Zu den wichtigsten Themen-Strängen, die auf der Tagung vertreten waren, gehören Gender-Aspekte von Rekrutierung (sowohl bei Personal in der Wissenschaft als auch im Wissenschaftsmanagement und der höheren Verwaltungsebene von Hochschulen), Gender-Aspekte wissenschaftlicher Karrieren (Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere mit Kind/ern und/oder Familie, Mentoring-Programme, Gender-Aspekte in der medizinischen Ausbildung an Hochschulen), kultureller Wandel und Organisationskulturen, Forschungsförderung, Geschlechterstudien/Gender Studies in den STEM-Fächern, gendersensible Didaktiken in der Hochschullehre und Diversity Management. Aufgrund der Fülle von Parallel-Panels und einer entsprechend hohen Zahl von Vorträgen kann nachfolgend nur ein kleiner Einblick in einige wenige ausgewählte Inhalte gegeben werden. Insbesondere sollen die Aktivitäten von LAGEN-Mitgliedern bzw. Vertreter_innen aus Niedersachsen dabei Berücksichtigung finden.
Im Rahmen eines Panels zum Thema "Cultural change in academia: starting points, challenges and success factors" stellte Heike Kahlert (Bochum/Hildesheim) Ergebnisse ihres Projekts zum Verlauf akademischer Karrieren in der Politikwissenschaft und Chemie vor, wobei sie sich vor allem auf den Übergang von der Promotion zur Habilitation bzw. Postdoc-Phase konzentrierte. Im Rahmen von 60 qualitativen Interviews war nach Betreuungs- und Unterstützungsstrukturen für die nächste Generation von Professor_innen in diesen Fächern gefragt wurden. Inwieweit sehen sich Professor_innen als Gatekeeper für akademische Karrieren und welche Rolle spielt dabei geschlechtsspezifisches Wissen? Es stellte sich u.a. heraus, dass es generell wenig Bewusstsein für die eigene Gatekeeper-Rolle unter Professor_innen gibt. Akademische Karrieren werden tendenziell als individuelle Konstruktionen beschrieben, die scheinbar von persönlichen Ressourcen und Aktivitäten abhängen. Dies wiederum wirft die Frage auf, wie es gelingen kann, Professor_innen für die Rolle als Gatekeeper zu sensibilisieren und ihnen bewusst zu machen, auf welche Weise sie Karrieren von Nachwuchswissenschaftler_innen aktiv beeinflussen können. Dazu gehört auch ein kritisches Nachdenken über die Faktoren, die erfolgreiche Wissenschaftler_innen in den beiden Fächerkulturen ausmachen (Forschungsprofil, begutachtete Publikationen, Mobilität) und die aktuell alles andere als klar definiert sind.
Jennifer de Vries (Melbourne) verfolgte ein ähnliches Interesse. Auch sie nahm die Gruppe der Professor_innen in den Blick um zu untersuchen, inwieweit sich diese einer aktiven Rolle als Förderperson ("Sponsor") bewusst sind um anschließend – aufgrund des Negativbefunds – dafür zu plädieren, die Fähigkeit, sich als Förder_in des wissenschaftlichen Nachwuchses zu empfinden und entsprechend zu agieren, als Bestandteil von Führungskompetenz zu definieren und in entsprechende Beratungsangebote und Trainings aufzunehmen. In diesem Zusammenhang stellte sie auch noch einmal heraus, dass Mentoring als eine vergeschlechtlichte Praxis zu verstehen sei und dass formale Mentoring-Programme niemals das informelle Mentoring, welches gerade Frauen oft vorenthalten wird, ersetzen können. Während de Vries in ihrem Vortrag viele interessante Aspekte mit Bezug auf Mentoring ansprach, blieb die von ihr vorgenommene konzeptionelle Unterscheidung zwischen Mentoring als psychosoziale Unterstützung und Karriereberatung einerseits und "sponsorship" als aktive Förderung (Einsatz von Netzwerken, 'Seilschaften') unklar und benötigt weitere Ausdifferenzierung sowie eine Übersetzung von einem eher unternehmerischen Kontext in den Bereich der Hochschule. Weitere Aspekte wissenschaftlicher Karrieren wurden z.B. von Andrea Löther (Köln) im Rahmen ihres Vortrags zu Gender-Aspekten in der Prekarisierung des wissenschaftlichen Mittelbaus an deutschen Hochschulen angesprochen.
Corinna Bath (Braunschweig) – ähnlich wie ihre Kolleg_innen Sigrid Schmitz (Wien), Waltraud Ernst (Linz), Petra Lucht (Berlin), Bärbel Mauss (Berlin) sowie Kerstin Palm (Berlin) – befasste sich mit dekonstruktivistischen Zugängen zu ‚Gender‘ in STEM-Fächern. Am Beispiel von Gender-Aspekten der Lehre in computer science und mechanical engineering sprach Bath über didaktische Herausforderungen in Situationen, in denen noch keine Fallstudien existieren, die Aufschluss über die Relevanz von Gender Studies in den jeweiligen Fächern geben. Studierende können angeleitet werden, eigene Fallstudien zu entwickeln, was es allerdings erforderlich macht, auch epistemische Vorannahmen und Bedingungen mit Bezug auf die Relevanz von 'Gender' zu identifizieren und didaktisch erfolgreich zu vermitteln.
Die Genderforschung in Niedersachsen selbst war Gegenstand des Inputs von Barbara Hartung (Hannover), die die historische Entwicklung der Genderforschung/Gender Studies seit Mitte der 1990er Jahren nachzeichnete und besondere Meilensteine (Maria-Goeppert-Mayer-Programm, EXPO 2000 "Internationale Frauenuniversität") herausarbeitete. Vor allem aber sprach Hartung über die Evaluation der niedersächsischen Genderforschung durch die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen und hob deren Innovationscharakter – Durchführung einer themenspezifischen Evaluation – hervor. Dabei kamen auch die spezifischen Rahmenbedingungen für die Förderung der Genderforschung in Niedersachsen in den Blick, insbesondere der Fokus auf der Förderung von Einrichtungen (Zentren, Studiengänge) im Gegensatz zu Einzelpersonen, die auch die gegenwärtigen Diskussionen innerhalb der LAGEN prägt. Der Vortrag endete mit einem Ausblick auf die bald zu erwartenden Ergebnisse der MWK-Ausschreibung "Geschlecht – Macht – Wissen", für die 20 Anträge eingegangen seien. Sie sei sehr gespannt, so Hartung, welche Projekte für eine Förderung ausgewählt werden und erhoffe sich dadurch spannende Impulse für die weitere Entwicklung der Genderforschung in Niedersachsen.
Helen Peterson (Göteborg) untersuchte Strategien für Erfolg und Misserfolg bei der Rekrutierung von weiblichen Führungskräften (Vizepräsidentinnen) an schwedischen Hochschulen. Ausgangsbasis war, dass der Pool zur Verfügung stehender Kandidat_innen generell sehr überschaubar ist und dass zudem viele Kandidat_innen ihre Bewerbungen im Verlauf des Verfahrens wieder zurückziehen. Laut Peterson ist die Chance, Frauen als Vizepräsidentinnen für Hochschulen zu gewinnen, deutlich höher, wenn folgende Aspekte Berücksichtigung finden: Das Auswahlverfahren ist besonders stark formalisiert mit Bezug auf Transparenz und Dokumentation, die Rekrutierungskommittees sind geschlechterparitätisch besetzt, es kommen weibliche Rekrutierungsberater_innen zum Einsatz, die Suchstrategien sind gezielt darauf ausgerichtet, weibliche Kandidat_innen zu finden und die in den Stellenanzeigen beschriebenen Profile betonen Werte wie Vertrauen, eine gute Arbeitsumgebung und Geschlechtergerechtigkeit.
Ausblick
Für mich als LAGEN-Koordinatorin mit einem ausgeprägten Interesse an wissenschaftspolitischen Fragestellungen, insbesondere im Bereich der Nachwuchsförderung, war die Teilnahme auf jeden Fall gewinnbringend – auch wenn ich mir manchmal eine deutlichere theoretische Fundierung der in den Vorträgen aufgestellten Thesen gewünscht hätte und es sich aufgrund der Fülle an teils sehr spezifischen Angeboten und Einzelbeispielen auch gelohnt hätte, gemeinsame Fragestellungen und Aspekte noch stärker herauszuarbeiten. Dazu war leider – wie so oft – keine oder nicht ausreichend Zeit. Gleichzeitig war der Tagungsbesuch sehr erfolgreich, was den Ausbau des LAGEN-Netzwerks betrifft. Alte Kontakte wurden aufgefrischt, neue geknüpft. Insbesondere gab es während der Tagung auch einen intensiven Austausch mit den Kolleginnen des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW, der in Kürze im Rahmen eines Besuches bei Beate Kortendiek in Essen fortgesetzt werden wird. Und was sicher nicht überrascht: Ein zentrales Gesprächsthema in den Kaffeepausen – insbesondere auch im Austausch mit den österreichischen Kolleg_innen – war das Thema "Angriffe auf die Genderforschung" und die vielfach geäußerte Unzufriedenheit mit den bisher erfolgten Interventionen. Auch wenn niemand eine 'Lösung' für die aktuelle Situation anbieten kann, besteht zunehmend der Wunsch nach einer Verständigung über geeignete Strategien, um Angriffen auf Genderforscher_innen, Gleichstellungsbeauftragte oder Feminist_innen aktiver begegnen zu können.
Stadtführung zur Frauengeschichte
Die Tagung – das soll zum Schluss noch erwähnt werden – bot den Teilnehmer_innen unterschiedlichste Möglichkeiten, die Stadt Wien auch jenseits von Prunk, Palästen, Sissi und Naschmarkt kennenzulernen. Hier ist insbesondere die Führung von Petra Unger hervorzuheben, die Frauenpersönlichkeiten der Wiener Geschichte vorstellte, u.a. Hedy Lamarr, Bertha von Suttner, Lise Meitner und Margarete Schütte-Lihotzky. Dass es sich bei Unger um eine Absolventin des Rosa-Mayreder-Colleges handelt, kann als wirklich glücklicher Umstand betrachtet werden, da hier Frauengeschichte auf einer sehr reflektierten Ebene mit Migrationsgeschichte, der Geschichte jüdischer Frauen und politischen Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart im Sinne einer praktizierten Intersektionalität verbunden wurde und daher nur empfohlen werden kann.
Der Austragungsort für die nächste European Conference on Gender Equality in Higher Education konnte derzeit noch nicht bekanntgegeben werden, da die Verhandlungen mit den Anwärter-Institutionen noch laufen. Angedeutet wurde jedoch bereits, dass es sich aller Voraussicht nach um eine leicht zu erreichende Stadt in Zentraleuropa handeln soll.
Links:
Konferenzprogramm mit "Book of Abstracts"
Stadtführungen zur Geschichte von Frauen in Wien – Petra Unger
Kontakt für Rückfragen und weitere Informationen:
Daniela Hrzán, Koordinationsstelle LAGEN, E-Mail: daniela.hrzan[at]hmtm-hannover.de
Der Bericht erschien ursprünglich im LAGEN-Rundbrief 30/2014 vom 18. September 2014, S. 2-5.