Der LAGEN-Doktorand_innentag wurde durch die Sprecherin der LAGEN, Prof. Dr. Corinna Onnen (Universität Vechta), eröffnet. Im Anschluss daran gab LAGEN-Koordinatorin Daniela Hrzán einen kurzen Überblick zur Geschichte des Interdisziplinären Niedersächsischen Doktorand_innentags Gender Studies, zu dem die LAGEN in diesem Jahr bereits zum fünften Mal in Folge eingeladen hatte.
Schon der erste LAGEN-Doktorand_innentag hatte im Jahr 2010 an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) stattgefunden – damals organisiert vom dort ansässigen Forschungszentrum Musik und Gender (fmg) unter Leitung von Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann, ihres Zeichens heute Präsidentin der Hochschule und stellvertretende Sprecherin der LAGEN. Nach Stationen an den Standorten der LAGEN-Mitgliedseinrichtungen in Braunschweig (2011), Göttingen (2012) und Vechta (2013) kehrte die Veranstaltung nun wieder an ihren Ursprungsort zurück und wurde am 5. März 2015 im Senatssaal der HMTMH abgehalten. Der zunächst für November 2014 vorgesehene Termin musste wegen massiver Streiks bei der Deutschen Bahn kurzfristig verschoben werden.
Ausgewählte Doktorand_innen niedersächsischer Hochschulen erhielten in Hannover wie auch schon in den Vorjahren Gelegenheit, in insgesamt sechs Vorträgen von je 20 Minuten Länge ihre in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien befindlichen Promotionsprojekte zu genderwissenschaftlichen Themen vor einem interessierten Fachpublikum zur Diskussion zu stellen. Ein bewährtes Instrument des LAGEN-Doktorand_innentages stellt der sich an die Projektpräsentationen anschließende zehnminütige Kommentar einer Expertin oder eines Experten dar, die/der bereits vorab einen intensiveren Blick auf das Manuskript werfen und gezielt Vorschläge zur Pointierung einzelner Aspekte oder auch Desiderate formulieren konnte. Den Part des/der Kommentierenden übernahmen neben den beiden Sprecherinnen der LAGEN, Onnen und Rode-Breymann, in diesem Jahr dankenswerterweise Prof. Dr. Melanie Unseld und Dr. Kerstin Brandes (beide Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) sowie Prof. Dr. Sabine Foraita (HAWK Hildesheim / Holzminden / Göttingen) und Prof. Dr. Rainer Emig (Leibniz Universität Hannover). Auf die Kommentare folgte wiederum eine Plenumsdiskussion von jeweils 15 Minuten.
Zu Beginn der Veranstaltung stellte Tanja Angela Kubes (Universität Vechta / LMU München), die bereits zum wiederholten Male beim Niedersächsischen Doktorand_innentag Gender Studies vortrug, die von ihr entwickelte Methode des "Living Fieldwork on High Heels", eine "multisensorielle Annäherung an Hostessen auf Automobilmessen" vor. Es handelt sich dabei um eine Radikalisierung der herkömmlichen Feldforschung, die über die teilnehmende Beobachtung hinausgeht, indem sie deren Okularzentrierung zu überwinden sucht. Mit dem Ziel einer vollständigen Teilnahme unter Einbeziehung aller Sinne erprobte Kubes am eigenen Leib das 'doing hostess', d.h. sie schlüpfte als Erforscherin der Tätigkeit von Hostessen auf Automobilmessen selbst in die Rolle des beforschten Objekts und führte über diesen performativen Prozess des Hostess-Werdens ein Feldtagebuch. Darin hielt sie die Ergebnisse ihrer leibzentrierten Datenaufnahme fest, allen voran die einer Hostess abverlangte Emotionsarbeit, die u.a. das geforderte Zwölf-Stunden-Dauerlächeln oder der Kult um das Bein mit sich bringt. Welchen Effekt hat es auf das Körperempfinden der Forscherin, wenn sie unter die Oberfläche der eingefrorenen Posen blickt und fühlt, wenn sie ihre Vorannahmen ausschaltet und sich ganz auf eine Inszenierung im Zeichen von Körpernormierung und -fragmentierung einlässt, den eigenen Körper also hostessentauglich zurichtet und, mit Bourdieu gesprochen, zu ihrem Kapital macht?
"Beruf: Pianistin – Marie Wieck (1832-1916) und Sofie Menter (1846-1918) in der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt" – unter diesem Motto standen die Ausführungen von Stephanie Hodde-Fröhlich, die als Stipendiatin des fmg an der HMTMH forscht. Am Beispiel der Berufsbiographien der beiden im Titel genannten Musikerinnen widmet sich das Dissertationsprojekt von Hodde-Fröhlich den Möglichkeiten und Begrenzungen zweier Karrieren als Pianistin im 19. Jahrhundert. Gegenstand der Analyse sind das jeweilige Konzertmanagement und Repertoire, die Auftrittsorte und Netzwerke, aber auch die Präsenz in den Medien, speziell der Presse. Für ihren Vortrag hatte die Referentin sämtliche Namensnennungen von Menter und Wieck in der Zeitschrift Signale für die musikalische Welt im Zeitraum 1843-1918 ausgewertet. Dem unterschiedlichen Stil der je ca. 30 überlieferten Briefe an den leitenden Redakteur dieses Presseorgans scheint es geschuldet, dass die Liszt-Interpretin Sofie Menter in den Signalen signifikant häufiger Erwähnung findet als ihre Kollegin und Konkurrentin Marie Wieck, eine Halbschwester Clara Schumanns. Während Menter einen charmant-vertraulichen Ton anschlägt, rekurriert Wieck auf das formalistische Modell des Geschäftsbriefs und hat mit dieser Selbstvermarktungsstrategie offenbar deutlich weniger Erfolg. Allerdings gilt es, so die Kommentatorin Melanie Unseld, diesen Einzelbefund in einen größeren Kontext von kurzlebigem Ruhm und langfristigem Engagement zu stellen.
Einen Einblick in "Die gegenwärtige Entwicklung postkolonialer Männlichkeit und Identitätskonstruktionen im Film in Uganda" gab der Vortrag von Luise Hilmers (Universität Vechta / HU Berlin). Die Referentin berichtete über mehrere von ihr absolvierte Aufenthalte in Uganda und reflektierte dabei ausführlich die Problematik ihrer eigenen Positionierung als weiße Frau und Wissenschaftlerin aus Europa gegenüber dem gewählten Forschungsgegenstand. Aus Zeitgründen kam daher der eigentlich interessante zweite Aspekt der aufgeworfenen Fragestellung, die konkrete Filmanalyse, wie auch Kommentatorin Kerstin Brandes zu bedenken gab, etwas zu kurz. Noch zu schärfen wäre zudem die Verzahnung der für die Arbeit vor Ort angefertigten Interviewstudien mit den Filmbeispielen, die es nicht nur inhaltlich auszuwerten gälte, sondern auch hinsichtlich ihrer Form und Ästhetik.
Katharina Krämer von der Hochschule Hannover ging es um "Gender- und Diversity-Forschung im kreativen Kontext" und dabei konkret um die nachhaltige "Verankerung von Gender und Diversity in der Designausbildung". Die selbst als Designerin praktisch tätige Krämer setzt sich das undoing gender im Produktdesign zum Ziel, wobei sie eine Gender einschließende Diversity-Perspektive privilegiert. Geschlechtergerechte und menschbezogene Gestaltung soll über "eine Verknüpfung von Designwissen und Genderwissen" als kreative Kompetenz in der Hochschuldidaktik erworben werden. Wie eingeübte Gender Codes im Design und daran angepasste Sehgewohnheiten der Rezipient_innen aufgebrochen werden können, veranschaulichte die Referentin in ihrem Vortrag anhand verschiedener, der von ihr mitveröffentlichten Publikation Du Tarzan Ich Jane (2012) entnommener Beispiele. Erwähnt sei an dieser Stelle exemplarisch nur eine studentische Abschlussarbeit, die das Morphing eines Föns zeigt, vom 'eindeutig' als Frauenfön identifizierbaren Gerät mit floral verziertem Griff über das in seine funktionalen Bestandteile zerlegte Unisexmodell, das je nach Bedarf mit oder ohne Griff verwendet werden kann, bis hin zum auf die rudimentären Restbestände eines Föns reduzierten Männergerät.
Alexandra Mieth (Stiftung Universität Hildesheim) widmete sich in ihrem Vortrag mit dem schönen Titel "Die Kraft und die Herrlichkeit der Gnade – female und male mercy in Graham Greenes Brighton Rock" einem, wie Kommentator Rainer Emig sagte, unmodernen Thema, das gleichwohl ein ambitioniertes Projekt darstellt. Mieths Arbeit spannt den Bogen auf zwischen literarischen Konstruktionen von Gender und theologischen Konzeptionen von Gnade, die im Gegensatz zur Variabilität von Geschlechterdiskursen in den katholischen Dogmen fraglos gegeben scheinen. Dennoch lassen sich nicht nur in der Bibel selbst – liest man sie als Literatur –, sondern auch und gerade in den Schilderungen der Bekehrungs- und Gnadenerlebnisse christlicher Heiliger wiederkehrende narrative Muster auffinden, die in Greenes modernem Roman möglicherweise durchbrochen werden. Eine Methode, diese Brüche herauszuarbeiten, böte beispielsweise eine Untersuchung der im Text verwendeten religiösen Metaphern.
Während der von der wissenschaftlichen Koordinatorin des Graduiertenkollegs "Gender und Bildung" an der Universität Hildesheim, Dr. Kerstin Bueschges, geleiteten produktiven Abschlussdiskussion konstituierte sich spontan eine Arbeitsgruppe, bestehend u.a. aus Alexandra Mieth und Paul Schock (beide ebenfalls Hildesheim), die sich der Organisation eines eigenen Nachwuchsnetzwerks innerhalb der LAGEN annehmen wird. Gemeinsam mit den anwesenden Promovend_innen wurden Überlegungen angestellt, wie sich das einhellig als erfolgreich bewertete Format des Doktorand_innentages noch optimieren ließe. Vorgeschlagen wurde z.B. die Einrichtung eines für den Austausch der Vortragenden untereinander reservierten Zeitfensters, in dem die Hauptakteur_innen nach der Plenumsveranstaltung innerhalb ihrer Peergroup Fragen klären können, die für einen vertraulicheren Rahmen geeignet sind. Mehr Transparenz wünschten sich die Vortragenden im Hinblick darauf, ob von ihnen ein direktes Eingehen auf die Kommentare erwartet wird. Um nach den Kommentaren noch ausreichend Zeit für Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum einzuräumen, wurde angeregt, die einzelnen Slots von einer Dreiviertel- auf eine ganze Stunde auszudehnen und dafür, wenn nötig, die Anzahl der angenommenen Vorträge zugunsten von Posterpräsentationen zu reduzieren. Die in der Diskussion zur Sprache gekommenen konstruktiven Kritikpunkte und Ideen werden in die Vorbereitung des nächsten Doktorand_innentages einfließen, der 2016 stattfinden wird.
Kontakt für Rückfragen und weitere Informationen:
Dr. Tanja Schwan, Stiftung Universität Hildesheim, ZIF – Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterstudien, E-Mail: schwan[at]uni-hildesheim.de