Datum und Ort 25.-27. September 2024, Leibniz Universität Hannover
Zitat aus dem Call:
"Digitalisierung im Alltag
Digitale Systeme haben Auswirkungen auf unseren Alltag und prägen nicht nur uns als Individuen, sondern auch unsere Gesellschaft und Um-/Mit-Welt. Feministische Arbeiten haben in den letzten Jahren verstärkt deutlich gemacht, dass ein großes Problem dieser Systeme sich darin äußert, dass bestehende soziale Hierarchien und Ungerechtigkeiten intransparent und unhinterfragt übertragen und automatisiert werden können. Dies betrifft insbesondere algorithmische Entscheidungssysteme, die auf Künstlicher Intelligenz basieren. Ungleichheit und Diskriminierung bezüglich Klassifizierungen wie Geschlecht, Race, (Dis-)Ability, Klasse, sexuelle Orientierung, Alter und Körpergewicht etc. können dadurch produziert oder sogar verschärft werden.
Mit der personalisierten Medizin dringt diese Problematik in den Alltag. Bei der Anwendung von Digital-Health-Apps benötigen Nutzer*innen neue Übersetzungsstrategien für leiblich-körperliches Wissen und Erfahrungen, um sich in soziotechnische Infrastrukturen einzuordnen. Diagnostische und prädiktive Apps basieren beispielsweise auf verzerrten Datensätzen und Algorithmen, die Ausschlüsse (re-) produzieren.
Queerfeministische Kritik
Die Notwendigkeit der kritischen Analyse und Regulierung der Herstellungsprozesse und Wirkungen von Datensätzen, digitalen Infrastrukturen und algorithmischen Entscheidungssystemen ist mittlerweile auch in Bereiche der Politik und Wirtschaft vorgedrungen. Beispielsweise wird Health Care in den UNESCO-Empfehlungen als neue ethische Problematik ausgewiesen. Allerdings zeigen intersektionale, queerfeministische, post- und dekoloniale, kapitalismus-kritische und klimagerechte Analysen, dass solche Initiativen häufig nicht machtkritisch arbeiten. Auf die vielfältigen Ansätze einer partizipativen und geschlechterwissenschaftlichen Gestaltung von Technik aus den Gender Studies oder aus den Feminist Science and Technology Studies wird bisher zu wenig zurückgegriffen. Insbesondere zeigen feministische, queere, post- und dekoloniale Perspektiven, dass unsichtbare Arbeiten wie das Kuratieren digitaler Plattformen, das Transkribieren von Daten oder weitere Aufgaben und Aufträge des Crowdsourcings auf Arbeiter*innen im globalen Süden ausgelagert werden. Koloniale Ausbeutungsstrukturen wiederholen sich daher innerhalb eines digitalen Kapitalismus.
Vor dem Hintergrund multipler sozioökologischer Krisen und menschlicher sowie mehr-als-menschlicher Ausbeutung stellen sich Fragen bezüglich der Erforschung und Gestaltung digitaler Systeme. Feministische ebenso wie künstlerische Ansätze finden dabei viel zu wenig Beachtung.
Die große Aufgabe ist aus queerfeministischer Perspektive nun in Bezug auf Digitalisierung und KI, Modi kollaborativer Verflechtung, gegenseitiger Abhängigkeit, Fürsorge und Mitgefühl (vgl. Rosi Braidotti) zu entwickeln, um die bestehenden Herausforderungen kollektiv meistern zu können.
Ziel der Tagung ist es, neue inter- und transdisziplinäre Verflechtungen für queerfeministische Forschung und Interventionen zu ermöglichen, um andere soziotechnische Mit-Welten zu gestalten. Die Tagung will einen Diskussionsrahmen schaffen, der methodenplurale, künstlerische, aktivistische, empirische und theoretische Ansätze gleichermaßen anspricht. Neben Einzelbeiträgen, Forschungswerkstätten und Postern sind auch interdisziplinäre, experimentelle sowie künstlerische Formate ausdrücklich erwünscht.
Folgende Themen, Bezüge und Fragen sind daher besonders (aber nicht ausschließlich) willkommen:
A) Traditionell weiblich* definierte Kulturtechniken: Zwischen technologischer Aneignung und Abwertung
B) Fallstudien zur strukturellen Unterdrückung durch und mit digitalen Systemen: Epistemologische und strukturelle Grundlagen
C) Data Colonialism und Digital Capitalocene: Wie kann Technik in post- und dekolonialer Weise entwickelt werden? Wie kann Technik (z.B. durch digitale Spiele) für ein dekoloniales und queerfeministisches Mit-Werden eingesetzt (z.B. pädagogisch) werden?
D) Verflechtungen von Naturen und Technologien: Feministische Positionierungen im Spannungsfeld von Technologieentwicklung und ökologischer Krise
E) Kritisch-reflexive Auseinandersetzungen mit Politik und Ethik: Regulierungen (z.B. rote Linien für den Einsatz von KI-Systemen) und Initiativen, die auf Ethik und Debiasing von Daten und Algorithmen zielen
F) Nicht-diskriminierende digitale Systeme und Ermächtigung durch Technik (z.B. Automatisches Erkennen von Diskriminierung, Fake News und Hassrede): Klassifizierungen, Infrastrukturen und Methoden für deren Entwicklung, Empowerment Nichtprivilegierter, Marginalisierter und Diskriminierter
G) Soziotechnische Visionen globaler Gerechtigkeit und eines lebbaren Lebens für alle: SF (Haraway), Storytelling, Fabulation, Spekulation, Witch-Weaving von Zukünften
Die Tagung wird organisiert vom Forschungsprojekt „Sociotechnical Practices of Objectivation: An empirical examination of AI-based health apps for diagnosis“ und der AG DIG*IT*AL der Fachgesellschaft Geschlechterstudien.
www.hs-emden-leer.de/studierende/fachbereiche/soziale-arbeit-und-gesundheit/projekte/sociotechnical-practices-of-objectivation
www.fg-gender.de/arbeitsgruppen/digital/
Wir freuen uns auf Einreichungen zu den genannten und ähnlichen Themen! Bitte schicken Sie Ihren Themenvorschlag mit Titel und einer kurzen Zusammenfassung (ca. 300 Wörter) sowie eine Kurzbiografie (max. 100 Wörter) in einer PDF.
E-Mailadresse: gender-digitalisierung@hs-emden-leer.de
Einsendeschluss: 31. Januar 2024"
Zitat aus dem Call:
"Natur ist ein heißes Eisen, ein in der Geschlechterforschung von Beginn an umkämpfter Begriff. Denn während die Zurückweisung einer soziale Ungleichheiten produzierenden Naturalisierung von Differenz einerseits den Kern feministischer Kritik bildet, ist auch die Geschlechterforschung oft genug in die Essenzialisierungsfalle getappt (Stichwort: Mütterfrage). Dabei kam es schon früh - in der Verbindung der Frauen- und Ökologiebewegung der 1970er Jahre - zu einer argumentativen Verbindung zwischen der inneren KörperNatur der Frau* und der äußeren Natur (z.B. im Ökofeminismus).
Entsprechend war die Auseinandersetzung mit Natur in der sozial-konstruktivistischen Theoriebildung zunehmend in den Hintergrund der Geschlechterforschung gerückt und blieb vornehmlich ein Thema der feministischen Science & Technology Studies. Außerdem wurde die Kategorie Natur in unterschiedlichen Forschungsansätzen im Themenfeld Gender und Nachhaltigkeit diskutiert. Gleichwohl verdient der Umgang mit Natur nicht nur angesichts des sich immer dramatischer vollziehenden Klimawandels auch und vor allem gendertheoretische Aufmerksamkeit aller beteiligten Disziplinen: Zum einen sind verschiedene Gender in unterschiedlicher Weise mit Naturräumen, -katastrophen, -phänomenen, -materialitäten, -vorstellungen, -politiken, -ideologien etc. konfrontiert. Zum anderen sind nature/gender-Relationen auch Kontexte, um (unproduktive) Spaltungen innerhalb der Bewegungen wie auch inhaltliche Verkürzungen diagnostizieren und rekonstruieren zu können.
Die gendertheoretische Auseinandersetzung mit Natur markiert auf einer analytischen Ebene möglicherweise den Kern des Streits: Gibt es unhintergehbare Kategorien und welche könnten dies sein? Wie lassen sie sich reund/oder dekonstruieren? Wo und wie spalten oder auch verbinden Auseinandersetzungen mit Natur theoretische Konzepte und politische Forderungen nach sozial-ökologischer Transformation? Für dieses breite Spektrum an Fragen wünschen wir uns Beiträge:
• Theorie: Inwiefern kann Natur eine Kategorie für eine gendertheoretische Positionierung sein? Welche Rolle können Konzepte wie Ökofeminismus oder Care dabei spielen?
• Methodologie: Wie lassen sich Theoriearbeit und inhaltliche Fragen in empirische Forschung übersetzen? Wie sieht der Umgang mit den Herausforderungen nicht-binärer und nicht-essenzialisierender/nicht naturalisierender Forschung aus? Inwiefern bieten beispielsweise in- 2 tersektionale und postkoloniale oder auch relationierende/reflektierende/prozessualisierende Konzepte einen konstruktiven Ausweg?
• Empirie: In welchen Feldern (z.B. Stadtplanung, Klimawandel, sozialökologische Transformation etc.) schlagen sich Auseinandersetzungen mit solchen Fragen wie nieder?
• Politik: Welche Rolle spielt dabei transformationsorientierte Ansätze?
Die Gast-/Herausgeber*innen der fzg freuen sich über Beiträge aus verschiedenen Disziplinen zu solchen oder auch anderen Themen in diesem Gebiet, die Gender und Natur gegenwartsbezogen oder auch historisch bearbeiten.
Die Herausgeber*innenschaft der fzg Gastherausgeber*innen: Tanja Mölders und Daniela Gottschlich.
Bitte reichen Sie Ihren Text für die fzg zum Thema Wi(e)der die Natur? Annäherungen an eine umstrittene Kategorie der Geschlechterforschung bis zum 31. März 2024 bei fzg@zag.uni-freiburg.de ein. Der Artikel sollte max. 40.000 Zeichen (inkl. Literaturverzeichnis, inkl. Leerzeichen) umfassen. Voranzustellen sind eine max. zehnzeilige Zusammenfassung (Abstract) und fünf keywords gemäß des Schlagwortindex bei Gender Open (jeweils: deutsch und englisch). Eine Rezension zu einer Publikation des Themenschwerpunkts sollte max. 12.000 Zeichen umfassen und bis 25. August 2024 bei der fzg eingehen.
Die fzg publiziert ausschließlich Originalbeiträge. Wir bitten Sie, uns dies mit der Einsendung des Artikels zu bestätigen. Ein Formular dazu sowie die Richtlinien zur Formatierung des Texts finden Sie auf unserer Website: www.fzg.uni-freiburg.de/de .
Vielen Dank!"