Ministerin Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Foto: <a href="http://de.wikipedia.org/wiki/User:AxelHH?uselang=de">Axel Hindemith</a> / Lizenz: <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/legalcode">Creative Commons CC-by-sa-3.0 de</a>
Gabriele Heinen Kljajic während der Rede in Hameln

Prof. Dr. Corinna Onnen und Daniela Hrzán, Bericht vom 11. Juni 2014

Am vergangenen Mittwoch, 4. Juni 2014, trafen sich in Hannover Vertreter_innen aus Wissenschaftspoli­tik, Gleichstellung sowie der Frauen- und Geschlechterforschung/Gender Studies zu einer Auftaktveranstaltung im Rahmen der Dialoginitiative "Geschlechtergerechte Hochschulkul­tur".

Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die Frage: "Wie können Arbeitsbedingungen und Karriereoptionen von Nachwuchswissenschaftler_innen an niedersächsischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen geschlechtergerecht gestaltet werden?"

Antworten auf diese Frage zu finden, ist das längerfristige Ziel der vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Kooperation mit der Landeshochschulkonferenz Niedersachsen (LHK) und der Landes­konferenz Niedersächsischer Hochschulfrauenbeauftragter (LNHF) organisierten Veranstal­tung.

Dr. Gabriele Heinen-Kljajić, Ministerin für Wissenschaft und Kultur, betonte in ihrem Gruß­wort, dass Gleichstellung Chefsache werden müsse. Sie schlug vor, einen Ideenpool mit einem Instrumentenkasten für Best Practice-Beispiele an niedersächsischen Hochschulen und Forschungsinstituten zu entwickeln. Vorbereitend dazu soll die Auftaktveranstaltung zur Dialoginitiative dazu genutzt werden, Handlungsfelder zu identifizieren, in denen besonders intensiv gearbeitet werden muss.

Karrierewege des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland

Die Input-Referate von Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel und Prof. Dr. Reinhard Kreckel fokussierten jeweils unterschiedliche Aspekte der Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses. Allen gemeinsam – und dies zeigte auch die anschlie­ßende Podiumsdiskussion, an der zusätzlich Prof. Dr. Andreas Bertram (LHK), Andrea Hoops (Staatssekretärin im MWK) und Brigitte Just (Vorsitzende LNHF) teilnahmen (ohne Prof. Dr. Beisiegel) – war die Forderung nach Strategien zur Nachwuchsförderung, die Karrierewege für Postdocs explizit auch neben der Professur vorsehen. Die Juniorprofessur sei insgesamt zu unbedeutend und zu prekär, um eine tatsächliche Alternative zum deut­schen Lehrstuhlsystem darzustellen.

In ihrem Beitrag zum Thema "Karrierewege und Personalstrukturen im Hochschulsystem" plädierte Prof. Dr. Ulrike Beisiegel, Präsidentin der Georg-August-Universität Göttingen und HRK-Vizepräsidentin für Hochschulmanagement und Governance, für mehr Transparenz und für eine "Kultur der Offenheit" im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem. Ins­besondere solle Geschlechtergerechtigkeit ein integraler Bestandteil von Strategien zur Nachwuchsförderung sein. Dafür brauche es eine konsequente Personalentwicklung für das wissenschaftliche Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Prof. Dr. A.D. Sigrid-Metz-Göckel von der TU Dortmund wandte sich gleich zu Beginn ihres Vortrags zu "Wissenschaft und Elternschaft" gegen ein noch immer geläufiges Verständnis von "Wissen­schaft als Lebensform". Die von Wissenschaftler_innen geforderte "Allzeitverfügbarkeit" – gepaart mit einer beständig anwachsenden Zahl befristeter Stellen (über 90% der Stellen im Mittelbau sind mittlerweile befristet) – haben dazu geführt, dass Wissenschaftler_innen-Paare überdurchschnittlich häufig von Kinderlosigkeit betroffen sind. So hätten im Jahr 2006 weniger als ein Drittel der Nachwuchswissenschaftler_innen in Niedersachsen Kinder ge­habt.

Was die Personalstruktur deutscher Hochschulen im Vergleich mit England, Frankreich und den USA betrifft, zeigte Prof. Dr. Reinhard Kreckel (Martin-Luther-Universität Halle-Wit­tenberg) anschaulich, dass in keinem dieser Länder der Anteil befristet beschäftigter Nach­wuchswissenschaftler_innen derartig hoch ist wie in Deutschland. Gleichzeitig gebe es in all diesen Ländern – wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß – Alternativen zur Professur, so Kreckel, ohne allerdings auf die spezifischen Möglichkeiten, im Rahmen einer Art "Laufbahn" Karriere zu machen, einzugehen. So habe Frankreich mit der Personalkategorie "Maître de Conférences" (verbeamtete Hochschullehrer_innen) einen eigenständigen Karriereweg im akademischen Oberbau, den es so in Deutschland nicht gibt. Und während es in England sowohl befristete als auch unbefristete Lecturer- und Senior Lecturer-Stellen gibt, bietet die USA mit ihrem Tenure Track-System zumindest knapp 30% der Juniorprofessor_innen ("Assistant Professors") die Option auf eine dauerhafte Stelle, wenn diese eine erfolgreiche Evaluation durchlaufen.

Podiumsteilnehmer_innen befürworten Personalentwicklungsstrategie für den wissenschaftlichen Bereich

Inwieweit sich aus den Ausführungen von Reinhard Kreckel die Notwendigkeit einer Einfüh­rung von neuen Personalkategorien ergibt, war bei der abschließenden Podiumsdiskussion umstritten. Staatssekretärin Andrea Hoops sprach sich explizit dagegen aus. Weitestge­hende Einigkeit bestand jedoch bezüglich der Frage, ob Hochschulen und Forschungsein­richtungen eine Personalentwicklungsstrategie insbesondere auch für den wissenschaftlichen Bereich benötigen. Dies wurde von allen Diskutant_innen ausdrücklich befürwortet. Allerdings könne dies nur ein Baustein sein, da es bereits genügend Beratungs- und Coaching-Angebote gibt. Wichtig sei vielmehr, endlich strukturelle Maßnahmen zum Abbau befristeter Arbeitsverhältnisse vorzunehmen. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass sich Mentoring-Programme als sinnvolles Instrument der akademischen Personalent­wicklung bewährt haben und daher unbedingt fortgeführt werden sollen. Mentoring-Pro­gramme seien vor allen in den beiden zentralen Entscheidungsphasen – Entscheidung für/gegen eine Promotion und Selbstfindung in der Postdoc-Phase – von besonderer Be­deutung. LAGEN-Mitglied Dr. Bärbel Miemietz stellte in ihrem Redebeitrag während der Dis­kussion am Beispiel des Ina-Pichlmayr-Mentoring-Programms und des Ellen-Schmidt-Pro­gramms der Medizinischen Hochschule Hannover die Bedeutung und Erfolge dieser Maß­nahmen heraus. In den vergangenen zehn Jahren erhielten 42 Ärztinnen und Naturwissen­schaftlerinnen eine Förderung für die Fertigstellung ihrer Habilitation. Zusätzlich wurden 155 Ärztinnen und Naturwissenschaftlerinnen durch eine_n Mentor_in und Work­shops zu außerfachlichen Qualifikationen auf eine Karriere in der Wissenschaft vorbereitet.

Einigkeit unter den Teilnehmer_innen der Podiumsdiskussion bestand auch hinsichtlich der Feststellung, dass es wichtig sei, Organisationskulturen an Hochschulen und Forschungsein­richtungen zu verändern. Wie kann dies geschehen? Hier wurde vor allem am Beispiel von Berufungsverfahren diskutiert, wie es gelingen kann, "gute Frauen im Spiel zu behalten". LAGEN-Sprecherin Prof. Dr. Corinna Onnen stellte aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in wissenschaftlichen Gremien, u.a. an der Universität Vechta, die Objektivität von Berufungs­verfahren in Frage und forderte insbesondere hier eine weitaus stärkere Transparenz als bislang genutzt werde.

Handlungsfelder für die Zukunft

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sechs Handlungsfelder definiert wurden, in denen zukünftig gearbeitet werden soll:

(1) Fachkultur – hierunter verstanden die Diskutant_innen den Versuch, auch die spezifi­schen Eigenheiten der jeweiligen Fächer zu beachten und im Sinne der Gleichstel­lung von Frauen und Männern nachvollziehbarer zu machen und im Idealfall sogar zu vereinheitlichen.

(2) Aufbau und Ausbau von Genderkompetenzen auf allen Ebenen der Hochschule, insbe­sondere auch im so genannten "Senior Level" (Hochschulleitung, aber auch mittlere Führungsebene der Dekanatsleitungen).

(3) Neudefinition von/ Maßnahmen zur Wahrnehmung von Führungsverantwortung.

(4) Entwicklung verlässlicher, planbarer und transparenter Karriereoptionen für Nachwuchswissenschaftler_innen im deutschen Hochschul- und Wissenschaftssystem.

(5) Maßnahmen, die auf eine Veränderung der Organisationskultur abzielen – Geschlechtergerechtigkeit als gemeinsames Ziel anstelle von erzwungener Frauen­förderung.

(6) Sicherung der Kontinuität von Gleichstellungsarbeit, u.a. durch die Verbesserung der Grundausstattung von Gleichstellungsbüros sowie durch Schaffung von Rückfalloptionen für Gleichstellungsbeauftragte.


Kontakt für Rückfragen und weitere Informationen:

Prof. Dr. Corinna Onnen, Universität Vechta, E-Mail: corinna.onnen[at]uni-vechta.de
Daniela Hrzán, Koordinationsstelle LAGEN, E-Mail: daniela.hrzan[at]hmtm-hannover.de

Der Bericht erschien ursprünglich im LAGEN-Rundbrief 19/2014 vom 11. Juni 2014, S. 2-4.